Goethe´s Faust

22. März 1805

Er hörte wie die Tür sich leise öffnete und schob seine Bilder hastig unter sein Gesäß. Noch bevor Christiane ihn erreichte, beugte er sich geschäftig über seine Schriften und hielt seine Feder in der Hand. Sie brachte ihm eine Schüssel mit angedickter Ziegenmilch und einen Teller mit Gurkenscheiben.
"Es ist schon spät, Liebster. Zeit für Deine Kur."
Dabei strich sie ihm mit ihrer jugendlichen Hand zärtlich über das gerötete Gesicht.
"Und fürs Bett" fügte sie neckisch hinzu und kicherte sogleich ein wenig verlegen.
Als er sich ihr lächelnd zuwandte, knisterte es unter ihm und er bat sie, ihm ein Glas Wasser zu holen. Als sie in der Tür verschwunden war, zog er die Bilder unter sich hervor, warf einen letzten Blick auf die angebetete Schöne mit dem seidig schwarzen Haar und ließ sie dann seufzend in seiner Schreibtischschublade verschwinden.
Christiane überreichte ihm das Wasser und blickte auf das Schriftwerk neben ihm.
"Bist Du nicht weiter gekommen?"
Johann schüttelte den Kopf und fasste sich wehleidig an das von der Gesichtrose geschwollene Gesicht. Sie hauchte ihm einen Kuss auf die heiße Stirn. Dann ließ er sich zum Kanapee begleiten, das kühlende Balsam und die Gurkenscheiben auftragen während er den Anblick ihres jungen Körpers genoss, der sich über ihn beugte.
Am nächsten Morgen brach er zeitig auf. Ihm war zu Ohren gekommen, dass es seinem Freund schlechter ging und er hatte keine Zeit zu verschenken. Er verstaute eine stattliche Anzahl Münzen und eine gute Flasche Wein in seiner Ledertasche und machte sich auf den Weg.
Justine öffnete ihm die Tür.
"Er ist noch oben."
Sie zeigte mit dem Finger die Treppe hoch und verdrehte die Augen.
"Ist noch nicht lange zu Hause, dieser Hallodrio."
Er ging die hölzerne Treppe hinauf, klopfte und wartete einen kleinen Augenblick. Als keine Antwort kam, betrat er das spartanische Zimmer. Wie immer stank es nach faulen Äpfeln. Sein Freund lag bleich auf seinen Laken und blickte ihn schlaftrunken an. Eine durchzechte, teure Nacht stand in seinem Gesicht. Schlaftrunken hob er eine Hand zum Gruß.
"Hannes, was macht Ihr schon hier in dieser Frühe?"
Johann ging zum Bett und schüttelte ihm die Hand.
"Ihr liegt noch in den Federn, Friedel? Habt Ihr wieder Karten gespielt?"
Seine Stimme war anklagend. Johann Friedrich rümpfte die Nase und schwieg während Johann Wolfgang sich im Zimmer umsah. Kleider und Schuhe lagen auf dem Fußboden.
"Ihr habt nicht geschrieben?"
Friedrich grinste überlegen, schlug die Decke zurück und ging zu seinem Schreibtisch. Johann Wolfgang verschlug es den Atem. Ein roter glänzender Stoff bedeckte kaum das Wesentliche seines Freundes und dieses kleine Tüchlein wurde zwischen den Pobacken nur von einem Fädchen gehalten. Friedrich ignorierte das Entsetzen und übergab ihm einen Stapel Papier. Dann verschwand er im Nebenzimmer, offensichtlich um sich anzukleiden.
Johann Wolfgang nahm den einzigen Stuhl im Zimmer, setzte sich und begann zu lesen. Friedrich kam in ungebügelten Beinkleidern zurück, öffnete die Weinflasche und füllte zwei Gläser. Dann setzte er sich auf die Bettkante und wartete bis sein Freund die Seiten gelesen hatte.
"Wie kann jemand wie Ihr, mit solch einem Lebenswandel so ein Meisterwerk schaffen?"
Er las weiter.
"Genial. Dieser Mann ist genial. Er greift immer nach den Sternen und bleibt dann doch an die Erdenschwere gebannt."
Johann Friedrich lächelte.
"Er ist wie Ihr, Hannes."
Johann Wolfgang blickte seinen Freund an.
"Eine richtige Antwort ist wie ein lieber Kuss, mein Freund."
Dann raschelte er mit den Seiten, las einige Passagen noch einmal.
"Und wie ein Widersacher so dämonisch, aber auch sympathisch und witzig sein kann. Er ist intelligent und verlacht und nutzt die menschlichen Eitelkeiten aus."
"Wie Ihr in jungen Jahren, Verehrtester."
"Dieses Drama ist übermächtig, es ist eine Menschheitsparabel. Die Zitate werden wie nichts vergleichbares in die Geschichte eingehen. Noch in Tausend Jahren wird man sie gebrauchen."
"Ja, lieber Hannes, es ist ein sehr geistvolles Stück, aber ich bin aufgezehrt, verbraucht und einfach zu schlicht und prunklos ihm die Standeswürde zu verleihen, die ihm zukommen sollte."
"Dieses Meisterstück wird über alle Grenzen und Länder hinweg eine unvergleichbare Bekanntheit erreichen, es wird sämtliche Weltliteratur verblassen lassen, Hannes. Das schwöre ich Euch. Und Ihr werdet noch viele dieser Werke schreiben."
"Ich bin krank mein Freund."
Er hüstelte ein wenig verlegen.
"Und arm."
"Johann Wolfgang stand auf und holte den schweren mit Münzen gefüllten Lederbeutel aus seiner Tasche und legte ihn auf den Tisch.
Friedrich nickte stumm.
"Ich weiss, dass meine Tage gezählt sind und nun ja, wie soll ich sagen, Gold ist nicht alles, aber ohne Gold ist alles nichts."
Er lachte über seinen eigenen Scherz. Johann Wolfgang grinste blätterte erneut durch die Seiten, legte sie zurück auf den Schreibtisch und sagte:
"Ist es nun ratsam nach Höherem zu streben oder ist es sinnlos?"
"Das Ende ist noch nicht geschrieben, mein Freund".
Wolfgang trank einen Schluck Wein und wartete bis sein Freund weitersprach.
"Aber es liegt klar auf der Hand. Wie sinnlos ist das Wissen, wenn es nicht hilft zu ergründen, was die Welt im Innersten zusammenhält."
"Und wie sinnlos dieses Streben, wenn es hindert, das Leben zu genießen."
Friedrich nickte zustimmend.
"Wie wahr, wie wahr, alter Freund".
Er grinste geheimnisvoll und sein gläserner Blick verlor sich in der Ferne.
Wolfgang schmunzelte und fuhr sich dabei mit beiden Händen über die ausgestreckte Brust.
"Es war wohl ein netter Abend gestern?"
Sein Freund schien noch in Erinnerungen zu schwelgen und antwortete nicht.
"Wenn Ihr dabei nur nicht immer Euren Lohn verspielen würdet."
Beide Männer schwiegen eine Zeitlang. Dann stand Wolfgang auf, stieß mit seinem Glas an das seines Freundes und nickte ihm zu.
"Auf unser Geheimnis."
"Auf unser Geheimnis" wiederholte Johann Friedrich und leerte sein Glas in einem Zug. Wolfgang reichte seinem Freund die Hand.
"Ich muss los. Wann werdet Ihr mit dem Ende soweit sein?"
"In den nächsten Tagen. Es ist im Kopf, ich muss es nur zu Papier bringen, Hannes."

Dann klopfte er seinem Freund sanft auf die Schulter, steckte die Seiten in seine Tasche und stieg die alte Treppe hinab. Auf der Straße sah er noch einmal hoch zum Fenster, aber sein Freund lag mit Sicherheit schon wieder im Bett.
Christiane begrüßte ihn glückstrahlend und erwartungsvoll, aber er vertröste sie mit einem zärtlichen Kuss. Dann zog er die Seiten seines Freundes aus der Tasche, setzte sich an seinen Schreibtisch und begann das vorletzte Kapitel von Faust zu schreiben.